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»Pillen!«, ächzte sie, was er erst verstand, als sie es wiederholte. »Pillen! Bad!«, dann presste sie ihre Hand aufs Herz und beruhigte sich ein wenig, atmete aber nach wie vor schwer und pfeifend. »Bitte«, sagte sie mit einem flehenden Blick, der Müller das Herz brach, »bringen Sie – mir – Pillen. Aus dem Bad. – Oben.«
Er schüttelte langsam und mit tiefem Bedauern den Kopf und trat einen Schritt zurück. Dieser Anfall war ein Zeichen. Ein Geschenk, das man annehmen musste.
»Sie –«, keuchte die alte Frau daraufhin, ballte ihre Hände zu Fäusten und richtete sich halb auf. »Sie wollen in Steenbergens Haus? Das ist von hier ganz leicht!« Ein groteskes Lächeln verzerrte ihr Gesicht. »Ich zeig’s Ihnen. Wirklich leicht. Sie müssen nur«, sie gurgelte wieder so schrecklich, »Pillen. Bitte. Bad.« Die letzten Worte verloren sich in einem Flüstern, dann fiel sie über den Tisch, zuckte, und regte sich nicht mehr.
Und Müller sich erst einmal auch nicht.
* * *
Richard sagte sich, dass er genauer hinsehen musste. Er musste Einzelheiten beachten, er musste treffend interpretieren wie bei einem Übersetzungstext, er musste die einfachen Dinge prüfen, die Konnotationen. In die Zuckerdose schauen. In der Zuckerdose war aber nur Zucker, und auch sonst waren die Details dieses erfolgreichen Steenbergen-Lebens in dem weiten Haus dann doch enttäuschend banal. Das Bezeichnendste war vielleicht der Hunderter-Sparpack Kondome mit abgelaufenem Verfallsdatum, der Richard schmerzlich an sein eigenes Liebesleben erinnerte. Bei den Wertsachen hingegen lag Steenbergen klar vorn: Er hatte eine Rolex in der Nachttischschublade und eine maßgeschneiderte Profi-Musikanlage vom Allerfeinsten, allein die Kabel mochten mehrere tausend Euro wert sein. Aber dann die CD-Sammlung: Phil Collins bis Eric Clapton. Im Kühlschrank: vergammelte Singlepackungen Salat, irgendwelcher japanischer Yuppie-Schnickschnack und viele angebrochene Marmeladengläser. Im Schnapsschrank: volle Flaschen, teils noch als Geschenk verpackt. Im Bücherschrank: eine zweibändige Nietzsche-Biografie direkt neben Dan Browns gesammelten Werken, dazu eine große Menge populärwissenschaftlicher Geschichtsbücher sowie eine kleine Sammlung ungelesen aussehender Literatur über kritische Umweltthemen. Das Einzige, was Richard zumindest in leichte Unruhe versetzte, war ein Schlüssel, den er am Schlüsselbrett in der Küche fand. An diesem einfachen Zimmerschlüssel hing, mit grober Schnur befestigt, ein uraltes Pappschild, auf dem in gestochenem Sütterlin das Wort Trockenboden stand. Dieser Schlüssel konnte zu nichts Geringerem gehören als zu der geheimnisvollen Tür im Rosenzimmer auf dem Speicher. Zwar war die Tür eintapeziert, und das Sütterlin auf dem Schild legte nahe, dass sie schon lange nicht mehr benutzt worden war, andererseits durfte Richard bei seiner Hausuntersuchung kein Zimmer auslassen; am Ende war die Tapete doch nicht so alt, und auf dem Trockenboden lagerten Waffen und Drogen. Er nahm also den Schlüssel, holte sich ein scharfes Messer aus der Küche und ging hinauf zum Speicher.