Читать книгу Der kalte Engel. Roman. Doku-Krimi aus dem Berlin der Nachkriegszeit онлайн
59 страница из 85
Endlich hatte sie die Haustür erreicht. Bevor sie die Schlüssel aus der Tasche zog, sah sie sich nach allen Seiten um. Ob nicht ein Unhold auf sie zugestürzt kam? Nein. Sie schloss auf und drückte auf den Lichtschalter. Gott sei Dank gab es keine Stromsperren mehr. Vier Stockwerke hoch. Und das bei ihrem Asthma. Von ihrem Körpergewicht ganz abgesehen. Auch die Hungerjahre hatten sie kaum abmagern lassen. Sie war eben ein guter »Futterverwerter«. Also dachte sie mit Schrecken an den mühsamen Aufstieg. Wie gern hätte sie einen Fahrstuhl gehabt! Zwischen dem zweiten und dritten Stock hatte sie sich auf halber Treppe einen Stuhl hingestellt, um immer ein wenig verschnaufen zu können. Den dritten schon, die ersten beiden waren ihr geklaut worden. Dieser nun war mit einer Kette an der Wand befestigt.
Im Treppenhaus traf sie Frau Schütz, die Portiersfrau, auf Berlinisch: die Portjesche. Maria Schütz wohnte im ersten Stock und stand im Ruf, ein jedes Mal, wenn sie Schritte hörte, zum Türspion zu eilen und zu sehen, wer das Haus betreten hatte oder gerade verlassen wollte. Männer, die spätabends Damenbesuch nach Hause bringen wollten, hielten die Hand vor das tückische gläserne Auge in der Türfüllung, und die Kinder machten sich den Spaß, das Ding immer wieder zuzukleben. Andere freuten sich darüber, dass die Schütz so wachsam war. Gerade jetzt, wo so viel passierte. »Wer nichts zu verbergen hat, der braucht sich auch nicht aufzuregen.« Unglücklicherweise war die Portiersfrau geistig nicht besonders helle, manche meinten auch, sie hätte die Stufe zum Schwachsinn lange überschritten. »Die hat doch ’n Dachschaden, seit sie im Krieg einen Tag lang verschüttet gewesen ist.« Das brachte ihr auch einen »Freifahrschein« ein, wenn die Phantasie wieder einmal mit ihr durchging und sie den Mietern der Kantstraße 154a etwas andichtete, was gar nicht stimmte: dass jemand klaute oder andauernd betrunken war, Kinder in die Wohnung lockte oder ein abgetauchter Obernazi war.