Читать книгу Januargier. Kriminalroman inspiriert von wahren Kriminalfällen онлайн
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Klaus Martin sah ein, dass es objektiv keinen Beweis dafür gab, dass diese Frau eines natürlichen Todes gestorben war. Sie hatten die Todesursache nicht herausfinden können. Bis auf eine leichte Hirnschwellung, auf die sie sich keinen Reim machen konnten, war an diesem Leichnam nichts auffällig gewesen. Martin wusste, dass sein Chef ein hervorragender Gerichtsmediziner war, der international einen exzellenten Ruf genoss. Mertens’ Renommee stand außer Frage. Klaus Martin bereute es, sich über das Bauchgefühl des alten Hasen lustig gemacht zu haben. Von Mertens konnte er noch viel lernen – das stand fest.
„Gut“, lenkte Doktor Martin ein. Er schaute verschämt zu Boden und starrte auf die Mosaikfliesen. Ihm war nicht wohl in seiner Haut. „Ja, stimmt ... Ich war vorschnell. Sorry. Kommt nicht wieder vor.“ Mertens lächelte zufrieden, zog seine Maske wieder vor Mund und Nase. Der Dozent konnte sich nicht verkneifen, noch ein lateinisches Sprichwort zu bemühen – er liebte diese alten Weisheiten, die noch heute Gültigkeit hatten. „Schwamm drüber, Klaus. Du weißt doch: De omnibus dubitandum.“ Sektionsassistent Schmidt hasste es, wenn sich die Kittelträger auf Latein unterhielten. Er verstand dann nicht, was sie sagten. Doktor Mertens wusste das. Deshalb schob er die Übersetzung stante pede und augenzwinkernd hinterher: „Das heißt: An allem ist zu zweifeln.“ Doktor Martin kannte das Faible seines Chefs für lateinische Sprüche. Er hob grinsend seine rechte Hand, streckte den Zeigefinger wie Wilhelm Buschs Lehrer Lämpel aus, ließ sich gekonnt auf den Fersen nach hinten kippen – und sagte lächelnd: „Ja, es stimmt. Leti mille repente viae – schnell führen Tausende Wege in den Tod. Aber am Ende dieser Wege stehen wir. Wer, wenn nicht jemand, der unserem Berufsstand angehört, sollte den Toten ihre Geheimnisse entlocken?“ Stolz schwang in der Stimme des Assistenzarztes mit, als er sich den sterblichen Überresten von Nadja Stern zuwandte.